veröffentlicht am Dienstag, 08.09.2015

Sandro Morelli, Juristische Seminararbeit, Die Zulassungspolitik von 1945 bis heute, 2014


Kapitel 2: Entwicklungsphasen der Zulassungspolitik ab 1945

Betreffend der schweizerischen Zulassungspolitik nach dem 2. Weltkrieg, lassen sich verschiedene Phasen erkennen. Obschon die wörtlichen Bezeichnungen der jeweiligen Phasen verständlicherweise nicht immer bei allen Autoren identische sind, können ab 1945 im Wesentlichen vier Phasen unterschieden werden: Zuerst eine eher liberal geprägte Phase bis etwa 1962, gefolgt von einer restriktiven Phase bis ins Jahr 1990. In den 1990er Jahren wurde schliesslich nach Ursprungsländern differenziert und das sogenannte “Drei-Kreise-Modell“ angewendet. Die Einführung der Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und der EU im Jahr 2002 begründete schliesslich eine duale Phase im Bereich der schweizerischen Zulassungspolitik. Die nachfolgende Grafik soll das soeben beschriebene verdeutlichen:

Abb. 3: Phasen der Zulassungspolitik in der Schweiz, eigene Darstellung.                                                                                             

In den Vergleich sollen sowohl die Verfassungs-, als auch Gesetzesbestimmungen miteinbezogen werden. Zudem werden für die jeweiligen Phasen typische Vorkommnisse dargestellt und analysiert.

 

Liberale Phase bis 1963
In diesem Kapitel soll die Phase bis 1963 dargestellt werden. Im Vergleich mit späteren Phasen, zeichnet sich die Zeit von 1945 bis 1963 durch eine liberale Prägung hinsichtlich der Zulassungspolitik aus. Bei der Betrachtung soll bewusst auch auf die damals vorherrschenden Bedürfnisse auf dem Arbeitsmarkt eingegangen werden. Nach einer Analyse der dazumal gültigen Verfassungsbestimmungen bezüglich der Zulassung von Ausländern1, wird dargestellt, welche gesetzlichen Bestimmungen zur damaligen Zeit relevant waren und wie diese die Zulassung in den Grundzügen regelten.2 Schliesslich soll in einem Unterkapitel über die Saisonniers und die Gastarbeiter aus Italien aufgezeigt werden, wie in der Schweiz nach dem zweiten Weltkrieg Arbeitskräfte im Ausland rekrutiert wurden.3

Verfassungsmässige Grundlagen der Zulassungspolitik
Anlässlich einer Volksabstimmung am 25. Oktober 1925 wurde erstmals ein Artikel in die alte Bundesverfassung von 1874 aufgenommen, der dem Bund die Kompetenz gab, das Ausländerrecht auf nationaler Ebene zu regeln. Es war dies der Art. 69ter aBV. Zudem hatte der Bund nach Art. 70 aBV bereits vorher das Recht Fremde wegzuweisen, falls sie die innere- oder äussere Sicherheit gefährdeten.4

„Art. 69ter aBV

1Die Gesetzgebung über Ein- und Ausreise, Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer steht dem Bunde zu.

2Die Entscheidung über Aufenthalt und Niederlassung treffen nach Massgabe des Bundesrechtes die Kantone. Dem Bund steht jedoch das endgültige Entscheidungsrecht zu gegenüber:

Kantonalen Bewilligungen für länger dauernden Aufenthalt, für Niederlassung und gegenüber Toleranzbewilligungen;

Verletzung von Niederlassungsverträgen;

Kantonalen Ausweisungen aus dem Gebiet der Eidgenossenschaft;

Verweigerung des Asyls“ .5

„Art. 70 aBV

Dem Bund steht das Recht zu, Fremde, welche die innere oder äussere Sicherheit der Eidgenossenschaft gefährden, aus dem schweizerischen Gebiet wegzuweisen“.6

Während der Art. 70 aBV bereits mit der Totalrevision der Bundesverfassung im Jahr 1874 in der Verfassung Niederschlag fand, wurde der Art. 69ter aBV erst unter den Eindrücken des ersten Weltkrieges und der damit verbundenen Erkenntnis, dass die Migrationspolitik national geregelt werden sollte, in die Verfassung aufgenommen.7 Dieser Artikel stellte eine klare Verschärfung der damaligen Migrationspolitik auf nationaler Ebene dar, hatte doch der Bund vorhin in diesem Bereich gar keine Kompetenzen. Mit der Zustimmung des Volkes zum Art. 69ter aBV, wurde der Grundstein für ein Ausländergesetz auf Bundesebene geschaffen.Der Artikel wurde insbesondere deshalb erlassen, um unerwünschte Personen von der Schweiz fernzuhalten, aber auch um die erwerbsorientierte Zuwanderung zu stabilisieren.9 Liberale und wirtschafsfreundliche Politiker hatten dazumal erfolglos dafür gekämpft, die liberale Migrationspolitik beizubehalten.10 Folglich bezieht sich die Titelbezeichnung “Liberale Phase bis 1963“ auch vielmehr auf weitere Phasen bis in die Gegenwart und nicht auf die Regelungen vor 1925.

Relevante Gesetzes- und Verordnungsbestimmungen
Auf Basis der verfassungsmässigen Grundlagen11 wurde im Jahr 1931 das Bundesgesetz über den Aufenthalt und die Niederlassung der Ausländer (ANAG) erlassen, das 1934 in Kraft trat. Besagtes Gesetz war geprägt von den Eindrücken der Zwischenkriegsjahre und somit sehr restriktiv ausgelegt.12 Dies obschon während des ersten Weltkrieges der Ausländeranteil in der Schweiz laufend gesunken war.13 Das ANAG war ursprünglich nur sehr lückenhaft ausgestaltet und gestand hierdurch der Fremdenpolizei einen erheblichen Ermessensspielraum zu.14 Ursprünglich wurden drei Kategorien von Anwesenheitsbewilligungen unterschieden: Toleranz (für Schriftenlose), Aufenthalt (befristete Aufenthaltsbewilligung) und Niederlassung (dauerndes Aufenthaltsrecht).15 Bei der Bewilligungserteilung wurde insbesondere darauf abgestützt, ob ein Ausländer gültige Ausweispapiere vorweisen konnte.16 Die zentrale Leitlinie des Gesetzes, nämlich der Schutz vor Überfremdung, überdauerte im Anschluss auch die Zeit des zweiten Weltkrieges. Hierbei war die Angst vor der Überfremdung aber eher ein Konstrukt, welches in den Köpfen der Menschen verankert war, als eine faktische Realität.17 Strukturelle Gegebenheiten sowie der beträchtliche wirtschaftliche Aufschwung, führten in den Nachkriegsjahren zu einem starken Mangel an Arbeitskräften auf dem schweizerischen Arbeitsmarkt. Dies insbesondere in jenen Branchen, die hinsichtlich Entlöhnung sowie Arbeitsbedingungen und Prestige für schweizerische Arbeitnehmende zusehends unattraktiv geworden waren.18 Das ANAG wurde erst nach dem zweiten Weltkrieg als wertvolles Instrument für die Steuerung des Arbeitsmarktes anerkannt. Das flexibel ausgestaltete ANAG konnte ohne massgebliche Gesetzesänderungen den neuen Bedürfnissen Rechnung tragen.19 Hierbei beschränkte sich die Liberalität der Ausgestaltung des Ausländerrechtes vielmehr auf die Zulassung, als auf die Stellung der Ausländer auf dem Arbeitsmarkt. Die Aufenthaltsbewilligung wurde an eine bestimmte Stelle geknüpft und Stellenwechsel waren nur schwer möglich.20
Im Jahr 1948 ersuchte der Bundesrat um eine erste Gesetzesrevision.21 Diese hatte massgeblich zum Ziel, für die Erteilung der spezifischen Aufenthaltsbewilligungen auf eine Beurteilung der Einzelperson und nicht mehr nur auf deren Ausweispapiere abzustellen. Die Situation für schriftenlose Ausländer sollte verbessert werden. Zudem sollten die Aufenthaltsbewilligungen flexibel den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes angepasst werden können. So konnte eine erste Aufenthaltsbewilligung für die Dauer eines Jahres ausgesprochen werden, allerdings unter dem Vorbehalt eines Wiederrufs, falls sich die wirtschaftliche Situation verschlechtern würde. Die Ausländerinnen und Ausländern diente sozusagen als Konjunkturpuffer. Punktuell enthielt die Revision allerdings auch Verschärfungen. So gab man den Kantonen griffigere Regelungen für den Vollzug von Ausschaffungen in die Hand und es wurden neue Strafbestimmungen für Personen eingeführt, welche die rechtswidrige Ein- und Ausreise förderten.22 Konkretisiert wurde das Rahmengesetz durch eine Vollziehungsverordnung (ANAV), welche der Bundesrat im Jahr 1949 erliess. Dies gestützt auf den Art. 25 ANAG, der dem Bundesrat einen relativ grossen Spielraum einräumte.23

Das Saisonnierstatut und italienische Gastarbeiter
Wirtschaftsfreundliche Kreise gingen nach dem zweiten Weltkrieg davon aus, dass auf dem schweizerischen Arbeitsmarkt rund 100‘000 Arbeitskräfte fehlten.24 Als wirkungsvollstes Mittel um diesem Unterbestand entgegen zu wirken, erachtete man zu diesem Zeitpunkt das sogenannte Saisonnierstatut. Dasselbe ermöglichte ein auf die Saison befristetes Aufenthaltsrecht, wobei es nicht erlaubt war, die Familienangehörigen mit in die Schweiz zu nehmen.25 Der Saisonnier kehrte nach seiner Arbeitssaison in sein Heimatland zurück, ohne einen Anspruch auf Rückkehr in der Folgesaison zu haben.26 Der Einwanderung sollte ein bewusst provisorischer Charakter verliehen werden.27 So wurde in jener Zeit auch der Begriff des Rotationsprinzipes geprägt.28 Eine dauerhafte Niederlassung war nicht vorgesehen. Man ging davon aus, dass die Beschäftigung von Fremdarbeitern ein lediglich vorübergehendes Phänomen sei, welches früher oder später mit einem Konjunktureinbruch abklingen würde. Erst zum Ende der 50er Jahre kam man zur Einsicht, dass der Bedarf an ausländischen Arbeitskräften einen dauerhaften Charakter erlangen würde. Als Folge dessen, wurde im Jahr 1960 der Familiennachzug teilweise ermöglicht, was zu einem weiteren Einwanderungsschub führte.29
Eine charakteristische Erscheinung für jene Zeit, ist das Rekrutierungsabkommen mit Italien aus dem Jahr 1948.30 Mit der Erneuerung und Überarbeitung des Niederlassungs- und Konsularabkommens aus dem Jahr 1868, wurde eine zeitgemässe staatsvertragliche Basis für die Einwanderung von Arbeitskräften von Italien in die Schweiz geschaffen. Der Staatsvertrag regelte die Modalitäten von Rekrutierung, Einreise- und Aufenthaltsbedingungen, sowie die Arbeitsbedingungen. Bestandteil des Abkommens war zudem ein Dienstvertrag, der Lohn, Arbeitszeit, Vertragsdauer sowie weitere Gegebenheiten regelte.31 Somit wurden seitens der schweizerischen Behörden günstige Voraussetzungen für die Rekrutierung von Gastarbeitern aus Italien geschaffen. Die Aufenthaltsbewilligungen wurden zu Arbeitszwecken und auf Wiederruf erteilt, wobei bei Saisonarbeitern ein Verbot des Wiederrufes während drei Monaten und bei übrigen Aufenthaltern ein Wiederrufsverbot während 6 Monaten galt. Weiterhin begünstigt wurde die Einreise durch eine Vereinfachung des Einreiseverfahrens und einer Aufhebung des Visumzwangs Im Jahr 1948.32 All dies hat sich unmittelbar auf die Zuwanderungszahlen.33 und den Anteil der Ausländerinnen und Ausländer an der Wohnbevölkerung ausgewirkt.34 Auf Grund der liberalen Zulassungsbedingungen, wurde teilweise gar von einer “laisser-faire“ Mentalität der Zulassungsbehörden gesprochen.35


1 Vgl. Kap. 4.1.1.

2 Vgl. Kap. 4.1.2.

3 Vgl. Kap. 4.1.3.

4 Spescha, Handbuch zum Ausländerrecht, S. 29f.

5 Art. 69 aBV.

6 Art. 70 a BV.

7 Vgl. Kap. 3.2.

D‘Amato, S. 36.

9 Spescha, Handbuch zum Ausländerrecht, S. 29f.

10 Buomberger, S. 33.

11 Vgl. Kap. 4.1.1.

12 Dhima, S. 49.

13 Vgl. Abb. 1.

14 Spescha / Kerland / Bolzli, S. 37.

15 AS 49 279.

16 BBI 1948 I 294.

17 Buomberger, S. 34f.

18 Dhima, S. 49.

19 Spescha, Zukunft «Ausländer», S. 27.

20 AS 1949 221.

21 Spescha / Kerland / Bolzli, S. 37.

22 BBI 1948 I 1293ff.

23 Spescha, Handbuch zum Ausländerrecht S. 35.

24 Boscardin, S. 35f.

25 Spescha, Zukunft «Ausländer», S. 27.

26 Spescha / Kerland / Bolzli, S. 40.

27 Piguet, S. 21.

28 Spescha / Kerland / Bolzli, S. 40.

29 Dhima, S. 49.

30 Piguet, S. 15f.

31 Boscardin, S. 54f.

32 Boscardin, S. 29ff.

33 Vgl. Abb. 2.

34 Vgl. Abb. 1.

35 Mahnig / Piguet, S. 68f.